Ein Anwendungsbereich von digitalen Signalprozessoren (DSP) ist die Manipulation von Audiosignalen zum Zwecke der Korrektur raumbedingter linearer Frequenzgangverzerrungen und anderer Probleme wie z.B. gleichmäßige akustische Ausleuchtung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Laufzeiten beim Einsatz von mehreren Schallquellen. Im professionellen Bereich wird diese Möglichkeit gerne und oft beim Einsatz in großen Räumen wie Theatern, Kinos und Vortragssälen mit Erfolg angewendet.
Dort wird ein Schallfeld durch eine beliebige Vielzahl unterschiedlich angesteuerter und angeordneter Schallquellen für den entsprechenden Anwendungsfall optimiert.
Anders sieht es unserer Meinung nach bei der Anwendung im Heimbereich aus. Hier konzentrieren sich die Probleme hauptsächlich auf die Wiedergabe mit zwei Stereo-Lautsprecherboxen und deren Klangbeeinflussung durch ungünstige Raumabmessungen, ungünstigen Standort der Schallquellen und Hörposition im Raum, sowie ungünstigen Nachhallzeiten.
Früher wurde (meist erfolglos) versucht, dieses Problem mehr schlecht als recht mit Hilfe von analogen Equalizern, die zwischen Vor- und Endstufe eingeschleift wurden, zu erledigen. So einfach läßt sich die Physik nun aber nicht austricksen.
Bei Anwendung von DSPs kann so etwas im Heimbereich manchmal funktionieren, muß aber nicht.
Ob es funktioniert, hängt von der Art der Unregelmäßigkeiten ab und natürlich auch davon, wie hoch die Ansprüche des/der Hörer sind.
Derartig schwerwiegende Eingriffe in das Audiosignal sind prinzipiell nur eine Krücke, die möglichst nach Beseitigung des eigentlichen Problems wieder weggelegt werden sollte. Solche "Raumprozessoren" sind im übrigen nicht billig und die Frage stellt sich einfach, ob dieses Geld nicht in "Room-Tuning"-Maßnahmen besser angelegt ist.
Es ist grundsätzlich immer besser, die Ursachen für Störungen zu beseitigen anstatt nur die Symptome zu bekämpfen.
Wenn überhaupt, dann können nur Frequenzgangabweichungen mit Minimum-Phase-Charakter, d.h. Abweichungen, die durch Vergrößerung der Strahlungsimpedanz des Lautsprechers wie z.B. wand- oder ecknahe Aufstellungen enstehen, u.U. korrigiert werden.
Echte Raumeinflüsse wie Raumresonanzen oder komplexe Reflexionen verschiedenster Art sind durch eine Manipulation des Nutzsignals nicht wirklich positiv beeinflußbar, sondern richten mindestens ebenso viel Schaden an, wie sie Probleme (scheinbar) lösen.
Allenfalls einer leichte Überdämpfung des Hörraumes könnte man durch leichte breitbandige Anhebung des Hochtonbereiches begegnen, besser ist es allerdings, die Probleme an der Ursache zu bekämpfen, indem entweder der Hörabstand oder die Dämpfung des Raumes verringert wird.
Kurz und gut, wir halten davon im Sinne möglichst neutraler Klangwiedergabe sehr wenig. Das soll auch begründet werden. Einige Kritikpunkte grundsätzlicher Art sind in vorangegangenen Artikeln schon aufgeführt worden.
- Das für die Korrektur nötige Ist-Signal wird per Mikrofon (also an einem punktförmigen, fast eindimensionalem Meßpunkt) aufgenommen, während das hinterher abgestrahlte Schallfeld des Lautsprechers mehrdimensional ist. Auf die Abhängigkeit der Meßergebnisse durch unterschiedliche Mikrofonpositionen wurde schon im vorangegangenen Beitrag hingewiesen.
Auch eine Mittelung des Ergebnisses durch Messung an verschiedenen Raumpunkten ist eigentlich sinnlos, da es ja gerade ein Charaktermerkmal von akustisch "unbehandelten" Räumen ist, daß an unterschiedlichen Punkten unterschiedliche Meßergebnisse zu verzeichnen sind. So kann man zwar durch viele Meßpunkte die in einem Raum befindliche Gesamtenergie näherungsweise linearisieren, aber der klangliche Haupteindruck wird letztendlich durch den vom Lautsprecher direkt abgestrahlten und beim Hörer zuerst eintreffenden Schall hervorgerufen, so daß bei Veränderung des Audiosignals in jedem Fall eine Klangverfälschung zu erwarten ist.
Die einzige Hoffnung ist, daß diese Klangverfälschung weniger auffällig als die Ursprungssituation ohne Verwendung von DSP ist. - Eine Auslöschung infolge einer Raumresonanz wird man nicht durch entsprechende Anhebung des Pegels ausgleichen können, da dann in gleichem Maße wie der Pegel auch die entsprechende Auslöschung steigen wird. Die Raumpunkte, wo der Schalldruck bei einer bestimmten Frequenz z.B. ein Minimum infolge Raumresonanz annimmt, liegen geometrisch fest und lassen sich auch durch einen DSP nicht beeinflussen.
Man kann in diesem Fall nur rund um diesen (schmalbandigen) Punkt herum im Frequenzgang die Gesamtenergie etwas erhöhen.
Weiterhin können sich Einbrüche im Frequenzgang häufig als lang nachschwingende und verspätet einschwingende mechanische oder akustische Resonanzen herausstellen, deren klangliche Auswirkungen deutlich schwerwiegender sein können, als es die Abweichungen im Frequenzgang vermuten lassen würden. - Bei modernen Raumprozessoren wird Amplitude und Phase des Schalldruckpegels per FFT (Fast Fourier Transformation) gemessen. Als Anregungssignale werden Impulse und Rauschen verwendet. Als besonderes Feature wird folglich beim Einsatz von digitalen Raumprozessoren darauf hingewiesen, daß im Gegensatz zu analogen Equalizern auch im Zeitbereich Korrekturen gemacht werden können.
In der Praxis allerdings relativiert sich das Ganze, da gerade der Verlauf des Phasengangs bei Lautsprechern in sehr hohem Maß vom Standort der Mikrofonposition abhängt.
Korrekturen im Zeitbereich (Phasen- bzw. Laufzeitentzerrung) werden nur dann hörbare Vorteile erbringen, wenn extreme Laufzeiten kompensiert werden können, so wie es z.B. bei Tieftonsystemen mit Hochpaßabstimmungen hoher Ordnung oder allgemein großen Räumen der Fall ist.
Im Wohn- bzw. Hifi-Bereich kommen solche Fälle allerdings fast nie vor. Mit einiger Erfolgsaussicht können hier nur Minimum-Phase-Probleme, d.h. raum- bzw. standortbedingte Einflüsse, die direkt die Strahlungsimpedanz, die der Lautsprecher "sieht", beeinflussen, behandelt werden. Hierunter zählen Schalldrucküberhöhungen, die z.B. durch Wand- oder Eckenaufstellung bedingt sind. - Ein aus audiophiler Sicht schwerwiegender und meistens nicht beachteter Punkt ist die Tatsache, daß z.B. bei einer frequenzabhängigen Anhebung auf digitaler Seite das Gesamtsignal um mindestens den gleichen Betrag abgesenkt werden muß, um eine Übersteuerung zu vermeiden. Das geht nicht ohne Bit-Verlust (ca. 1 Bit bei jeweils 6dB Absenkung des Gesamtpegels), so daß bei größeren Korrekturen mit Informationsverlust des Nutzsignals gerechnet werden muß.
- Ein weiterer Punkt ist das Richtverhalten einer Lautsprecherbox, welches durch die Entzerrung natürlich nicht verändert wird. Von der Abstrahlrichtung abhängige Änderungen des Frequenzganges können durch die Entzerrung nur für eine Hörposition exakt korrigiert werden.
Folgerichtig liest man dann auch in den Produkthinweisen entsprechender Geräteanbieter entsprechende Vorschläge, unter welchen Voraussetzungen halbwegs akzeptale Ergebnisse zu erwarten sind:
- Die Lautsprecherboxen sollten möglichst an einer Wand stehen, damit dann die resultierende Schalldruckerhöhung mittels DSP abgesenkt werden kann. Dies soll den Klirrfaktor und den "headroom" (nutzbaren Dynamikbereich) verbessern helfen und ist auch soweit korrekt. Ob das Impulsverhalten im Tieftonbereich wirklich besser wird, darf bezweifelt werden, denn das Ein- und Ausschwingverhalten wird in hohem Maße zukünftig mehr von den Raumverhältnissen und nicht vom Signal bestimmt.
- Bei üblicher Lautsprecherpositionierung bilden Hörer und Box einen Winkel von ca. 60° (gleichseitiges Dreieck). Bei Verwendung eines "Raumprozessors" sollen Winkel bis zu 90° möglich sein, was eine unübliche große Basisbreite bedeuten würde. Der dann üblicherweise resultierende horizontale Schalldruckabfall im Mittelhochtonbereich (Bündelung) soll korrigiert und dadurch die nutzbare Basisbreite vergrößert werden, ohne daß ein virtuelles "Loch" in der Mitte entstehen würde. Allerdings würde auch der insgesamt abgestrahlte Schallpegel im oberen Mittelhochtonbereich mindestens verdoppelt werden, so daß sich außerhalb des Meßpunktes sicherlich ein unbefriedigendes Klangergebnis einstellen würde.
- Die Anwinkelung der Lautsprecherboxen sollte ebenfalls aus gleichem Grund verringert werden, um die angeblich resultierende Klirrfaktorverringerung (die aber im wesentlichen nur meßtechnisch durch den Schalldruckabfall im Mittelhochtonbereich bedingt ist, ein einfacher Tiefpaß hätte den gleichen Effekt) zur vermeintlichen Klangsteigerung auszunutzen. Vermutlich hat man aber einfach nur die Erfahrung gemacht, daß die aufgrund der Signalveränderung resultierenden Verfärbungen und Artefakte sich auf Achse besonders schlecht anhören.
- Völlig zweifelhaft wird die Argumentation dann, wenn allen Ernstes geraten wird, sämtliche Room-Tuning-Maßnahmen zu entfernen, weil sie angeblich eigene Resonanzen (?!) und Dämpfung bewirken würden. Das Problem ist hier wohl eher, daß man soviel wie möglich Schallpegel (egal, welchen frequenzabhängigen Verlauf dieser nimmt) benötigt, um die für die Korrektur nötigen Gesamtpegelabsenkungen so klein wie möglich zu halten.
Betrachtet man die Ratschläge mit etwas kritischer Distanz, so läuft anscheinend alles darauf hinaus, einen möglichst großen Vorher-Nachher-Effekt zu generieren, indem die akustischen Verhältnisse zunächst massiv verschlechtert werden, damit hinterher beim Umschalten auf die (unter erheblichem finanziellem Aufwand) "korrigierte" Anlage der Aha-Effekt umso größer wird.
Zur Ehrenrettung der betreffenden Hersteller muß allerdings auch erwähnt werden, daß es dafür durchaus Bedarf und Anwendungsfälle gibt. Aus eigener Erfahrung sind uns Fälle bekannt, wo die betreffenden Hörer unter keinen Umständen zur Durchführung raumakustischer Maßnahmen bereit waren.
Wer nicht hören will, muß eben zahlen und wird auch nur ein Gesamtergebnis erzielen können, das deutlich unterhalb der Möglichkeiten liegt, die sonst aufgrund von Raum und Gerätekonfiguration möglich wären.